Was man über stadtbekannte Verrückte wissen muss
Das schöne an einer Stadt dieser Grösse ist die Tatsache das einzig und alleine diese Grösse für das Vorhandensein von stadtbekannten Verrückten geeignet ist. Ist die Stadt grösser, verliert sich deren Verrücktheit in der Menge und Masse, und ein einzelner wird vielleicht nur zum Stadtviertel-Verrückten. Besucht man einen Freund, in einem anderen Viertel, kann er Geschichten über den eigenen Stadtviertel-Verrückten kaum verstehen. Ebenso verhält es sich umgekehrt. Bei einer kleineren Stadt, wird dieser Menschenschlag schnell und mit einer gewissen Boshaftigkeit zum einfachen Dorftrottel. Ohne die Begegnungen mit diesem Menschen wäre ich aber nichts. Sie tauchen in bestimmter Regelmässigkeit in meinem Leben auf, spielen wie auswendig gelernt ihre kurze Episode, und lassen mich mit einer feinbeobachtenden Anekdote über die Stadt und ihre Verrücktheit zurück. So auch gestern am frühen Abend. Ich wartete auf die in wenigen Minuten eintreffende Strassenbahn, und durfte Zeuge dieser ganz speziellen, scheinbar extra für mich erdachten Szene, werden. Ihr Ausmass war auf eine dokumentarische Art und Weise derart cineastisch inzeniert, wie es ein Jarmusch nicht besser ins Bild setzen könnte. Als er auf die gegenüber liegende, als Haltestelle fungierende Verkehrsinsel mit seinem Fahrrad zusteuerete, fiel mir so als erstes die an der Grenze zur Übertreibung liegende Kostümierung und Requisite auf. Ein schlacksiger, auf die 50 zugehender, grau- und langhaariger Mann. Eine rote Hose. Eine über den Anorak gezogene Reflektorweste, wie sie sonst Strassenarbeiter zu tragen pflegen. Ein Rucksack, aus dem jeweils Links und rechts eine Europa- und eine Deutschlandflagge herausragte. Das Fahrrad war auf kitschige Art und Weise mit allerlei Beuteln, Taschen, handgeschriebenen Schildern politischer Art und unnötigen Krimskrams überladen. Aus einer an der Mittelstange angeknoteten Jutetasche tauchte ein Radio, mit einem HipHop-Song, die Szene, akustisch untermalend, in ein surreales Licht. Er stellte das Fahrrad so ab, das es noch weit in die vorbeiführende Strasse ragte. Geradso als ob er mich provozieren wollte. Uns zuschreien wollte, wie wenig er auf die Gesellschaft und ihre Fahrbahnen, Autos und die damit verbundenen Regeln gibt, und mir so meine eigen Spiessigkeit verdeutlicht, in dem ich darauf aufmerksam werde. Weit entfent von der Stelle, an der Ticketautomat und Wartehäuschen die Stelle der Abfahrt markieren, am Ende der Verkehrsinsel, wendet er sich, in einem Umhängebeutel wühlend, einem, an einem Masten angebrachten Münztelefon zu. Während er mit den Fingern eine Münze aus dem Beutel fischt, nimmt er mit der anderen Hand bereits den Hörer ab. Der erste Versuch des Geldeinwerfens misslingt, und die Münze fällt klirrend vor ihm zu Boden. Steif bügt er sich nach vorne. Seine gestreckten Beine, sein steiffer Oberkörper, der Rucksack, die abstehenden Fahnen und die gleichzeitig starr und elastisch geschwungene Telefonschnur zum Hörer in der weit abgestreckten Hand, ergeben im vom mir gewählten Auschnitt, eine gewagte, moderne Bildkomposition. Man fühlt sich an die klare Unterteilung von Mondrian genauso erinnert wie an eine einzige, dominante Form, aus einem pollockschen Liniengewirr. Der zweite Fehlversuch lässt die Münze weiter wegfallen und zwingt ihn die Bindung zwischen ihm und dem Apparat, den die Telefonschnur herstellt, kurz, durch Einhängen aufzugeben. Die neu gewonnene Freiheit nutzt er so gleich um in ein nahes Cafe zu eilen. Das Fahrrad lässt er zurück. Erneut führt er mir meine Spiessigkeit und meine Abhängigkeit von der Diktatur des Materiellen vor. Ich mache mir Gedanken über die Gefahr eine möglichen Diebstahls. Ertappt. Ihn sorgt so etwas wenig. Was zu tun ist, steht im Vordergrund. In diesem Falle - so vermute ichjedenfalls - Geldwechsel. Die kurze Szene im Kaffe lässt sich durch die Menschenknäuel im Inneren hindurch nur schwer beobachten. Erst als die Strassenbahn auf der anderen Seite eintrifft, kann ich ihn wieder ausmachen. Er eilt aus dem Cafe, ergreift sein Fahhrad, und eilt zur ersten erreichbaren Tür. Zu spät. Trotz heftigen Klopfens erbarmt sich der Schaffner nicht und hält die Tür verschlossen. Eine Zeitverzögerung kann er sich nicht leisten. Ein erneutes Öffnen, bedeutet ein verspätetest Abfahren, bedeutet ein verspätetes Ankommen, bedeutet Unmöglichkeit. Der nun abfahrenden Bahn, wird ein "Arschficker" hinterhergerufen. Der alte Mann auf der Bank neben mir, den ich erst jetzt wahrnehme, wendet sich von der Szene ab. Eine solche Auffälligkeit passt nicht in sein Leben. Durch das wegschauen beweist er die Unmöglichkeit des Geschehenen und löscht es so, für sich aus. In seiner Liste der Tagesereignisse wir es nicht vorkommen. Auf der anderen Seite scheint das Telefon momentan nicht mehr wichtig, das gewechselte Geld ist vergessen. Ich verlasse die Szene nur ungern,meine Neugier ist zu gross. Doch die eintreffende Bahn versperrt mir unbarmherzig die Sicht auf die Ereignisse und entreisst mich der soeben erlebten Verrücktheit, mit offenem Ende, in die Normalität einer Strassebahnfahrt.
9 Comments:
Toll! Und was hast Du sonst noch vor im Leben?
den kenne ich,... die gehören doch alle zum stsdtbild.
kennst du den dinosaurier-mann? oder die mutter und tochter, die ständig fluchen? oder der penner, der auf kommando eine nervenkrankheit vortäuschen kann, oder die befreundeten ständig laut streitenden, mit dem bissigen cäsar-Hündchen?den mann, der fast immer barfüßig herumläuft, ansonsten bei minusgraden mit kaputten turnschuhen?
kerstin
@kerstin
den barfüssigen kenn ich. Aber wer ist der Dinosaurier-Mann? Ansonsten kenn ich noch den verrückten Eismann, den Matrix-Meister Eder, die Müllhalde und meinen Alltime-Fav Jürgen Germany. BEstimmt noch einige vergessen
die müllhalde ist die grau-kurzh-haarige Frau, die immer die Flaschen aus den Container nimmt, hinter diese sch.. und ihr Gebiß in Mülleimer fallen läßt?
wer sind die anderen? der dino-mann ist mein favorit, den kennt man wohl aus spielzeugabteilungen, aber läuft auch in der stadt immer mit einem plastikdino herum. er kennt alle namen von diesen und seine ma staubt sie ihm ab (sowas erfährt man bei kassenjobs*gg*)
kerstin
Der junge Mann heißt Enzo.
Und Müllhalde ist die Laby/Akw-Frau
Es gibt noch viel mehr "Psychos" in dieser beschissen schönen Kleinstadt.
Hier trefft ihr ein paar davon.
http://www.kult-wuerzburg.de
Das nennt man dann wohl subtil verpackte Werbung.
die stadt ist nicht schön. ich wiederhole: ist nicht schön.
kennst du den hitler von heidingsfeld?
der dinomann ist auch so einer aus einem andren stadtteil. besser gesagt aus lengfeld.
und dann gibts ja noch den altbekannten füße mann - ich vermute inhalt deines neuen posts!
Es gibt auch noch den Fußfetischisten. der schreit immer "FRAUENÜ?E MÜSSEN STINKEN" und so durch die gegend. vom dinoman gibts bei youtube sogar ein kurzes video
Siehe http://somesinatra.blogspot.com/2005/05/frauenfsse-mssen-stinken.html
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